[Trotter 190] In den Schluchten des Balkan

Wanderer in den Bergen mit Wanderstab

Wie einst bei Karl Mays Kara Ben Nemsi

Text und Fotos: Wolfgang Post, Reisezeit Mai/Juni 2019

 

Seit vielen Jahren ist Wolfgang Post immer wieder vor allem zu Fuß, mit Bus oder Bahn oder als Tramper in verschiedenen Regionen Europas unterwegs. Er ist ein leidenschaftlicher Wanderer. Auch in der zurückliegenden Saison unternahm er ausgedehnte Wanderungen. Diesmal ging es nach Bulgarien und anschließend in die Berge in seine geliebten und oft bewanderten Karpaten.

Immer gibt es ein klassisches literarisches Werk, das ihn inspiriert – und irgendwie auf seinen Wegen begleitet. Für diese Wanderung durch die bulgarischen Berglandschaften, durch Banat und Siebenbürgen diente Karl Mays In den Schluchten des Balkan, 1882 erstmals veröffentlicht, als Anregung.

 In den Schluchten des Balkan [ ] das ist das karstige Land von dem alten Adrianopel mit dem orientalischen Gepräge, dem heutigen Edirne, bis hin zum heute südslawischen Ostromdscha oder Strumnitza. Es ist ein vielfältig in sich gegliedertes Gebirgsland mit nur wenigen größeren Ebenen. Hier haben sich die Völker seit der Vorzeit ein Stelldichein gegeben.

Karl May, aus In den Schluchten des Balkan  

Nach 43 Jahren wieder in Bulgarien

Am 15. Mai komme ich in Sofia an. Seit meinem letzten Besuch im September des Jahres 1976, wo ich noch Reisepass und ein Visum benötigte, hat sich viel verändert. Trotzdem sind es gerade die alten Plätze um die Banja-Baschi-Moschee, die Sankt-Nedelja-Kirche, die Alexander-Newski-Gedächtnis-Kathedrale und der überdachte Markt, die mich anziehen.

Zwei Tage später schaue ich mich in Plovdiv um, der europäischen Kulturhauptstadt 2019, für mich die attraktivste und schönste Stadt Bulgariens. Hier ist überall was los und Musiker spielen auf alten Dudelsäcken. Bewundernswert sind die alten, schön restaurierten Häuser in der Altstadt, wie zum Beispiel das Haus von Argir-Kujumdžioglu und die Ruinen der Festung. Junge, hübsche Mädchen lassen sich von Fotografen ablichten und auch ich nutzte die Gelegenheit, für einen Schnappschuss.

Mein eigentliches Ziel in Bulgarien ist der Westen mit den Rila- und Pirin-Gebirgen. So fahre ich mit dem Zug von Plovdiv nach Septemwri, um von hier die als Rhodopenbahn bezeichnete Schmalspurbahn zu nehmen. Diese Bahnstrecke ist 125 Kilometer lang und mit 760 Millimeter Spurweite (so genannte bosnische Spur) die einzige Schmalspurbahn in Bulgarien. Ein Muss für Eisenbahnfreunde! Sie führt von Septemwri, im Westen der Oberthrakischen Tiefebene, wo sich auch das Lokdepot befindet, durch die drei Gebirge Rhodopen, Rila und Pirin nach Dobrinischte.

Als Reisender muss man Zeit mitbringen, denn das schwierige Gebirgsterrain erlaubt nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde. Die Reise führt durch 35 Tunnel und vier Kehrschleifen. Deshalb dauert die Fahrt etwa fünf Stunden. Aufgrund der malerischen Gebirgslandschaft nennt man die Rhodopenbahn auch die »Alpenbahn des Balkans«.

Die Fahrt geht über Avramovo – die höchstgelegene Bahnstation des Balkans (1.246 Meter) bis Beliza, wo sich hoch im Rila-Gebirge (1.300 Meter) ein Reservat für Tanzbären befindet. Das Reservat wurde im Jahr 2000 gegründet und umfasst 120.000 Quadratmeter. Hier kann man die natürliche Lebensweise von erfolgreich geretteten Bären beobachten und wo ich in einem Unterstand nahe der Bären nächtigte. Selbstverständlich sind die Bären durch einen Zaun vor mir geschützt!

Von der Bahnstation Beliza geht es nach Bansko, eine der wichtigsten Stationen in einer Seehöhe von 890 Metern. Bansko ist nicht nur der größte Skiort in Bulgarien, interessant sind die vielen bulgarischen Renaissance-Häuser, die als Schatzkammern bezeichnet werden können.

Durch die Schluchten der bulgarischen Berge

Sogleich beginne ich mit dem Aufstieg zur Wichren-Hütte. Die Berghütte liegt zu dieser Jahreszeit noch im Schnee, kein Wunder bei einer Meereshöhe von 1.950 Meter. Wegen der Kälte und dem Eis muss ich zwangsläufig meine geplante Bergwanderung durchs Pirin-Gebirge ausfallen zu lassen. Der Berg Wichren, der zweithöchste des Landes, 2.914 Metern hoch, erstrahlt im weißen Glanz.

Bahn-Schaffnerin vor Zugtür
Zugschaffnerin der Rhodpenbahn

Anderntags fahre ich von Bansko mit der inzwischen liebgewordenen Rhodopenbahn zurück in das Pomakendorf Cherna Mesta, das mich schon tags zuvor mit seiner hübschen Moschee und dem Minarett gegrüßt hat. Frauen mit blumenverzierten Kopftüchern, klapprige Karren mit großen weißen Säcken und nach Gras suchende Kühe führen ein eigenes Leben am Rande der Gleise. Die Pomaken sind eine muslimische Minderheit in Bulgarien und hier auf den Anbau von Tabak spezialisiert. Gerne wäre ich eine Nacht geblieben, aber da es anfängt zu regnen und ich kein Plätzchen zum Übernachten finde, fahre ich notgedrungen mit der Bahn zum Endbahnhof Dobrinischte.

Über Goze Deltschev trampe ich zum Roschen-Kloster bei Melnik. In diesem Kloster habe ich 1976 schon einmal übernachtet. Bulgarische Studenten mussten mich damals dort einschleusen, denn Ausländer durften offiziell nicht rein.

Die zauberhafte Landschaft der bizarren Melniker Sandpyramiden an den Südhängen des Pirin-Gebirges hat mich damals sehr beeindruckt, deshalb möchte ich unbedingt wieder hin. Zudem ist die Gegend für ihre hervorragenden Rotweine bekannt, was einige Händler zu Wohlstand verholfen hat. Einige dieser wohlhabenden Häuser mit ihren Weinkellern bieten Besichtigung mit der Verköstigung eines guten Tropfens an, wie etwa das Kordopul-Haus. So etwas lasse ich mir nicht entgehen!

Nach den angenehmen und genussvollen Tagen wandere ich weiter durch diese Landschaft, höre den Kuckuck rufen und schaue den weidenden Herden zu. Aber, oh Schreck! Wie sehen die abseitsgelegenen Dörfer aus? Verwahrlost, von den meisten Menschen verlassen. Ich habe Glück, denn eine alte Frau reicht mir Brot und Käse, da weit und breit kein Geschäft vorhanden ist. So ist es kein Wunder das Melnik mit nur 200 Einwohnern zur kleinsten Stadt Bulgariens geworden ist.

Nahe der Sankt-Peter-Kapelle bei Gorna Suschitsa finde ich ein feines und geschütztes Plätzchen zum Übernachten. Während der grollende Donner eines Gewitters über das nahe Mazedonien zu hören ist, geht die Sonne unter, schaue in südliche Richtung nach Griechenland und bestaune hier die Pyramidenlandschaft.

 

 

Rila-Gebirge

Mönche in einem Kreuzgang
Mönche im Rila-Kloster

Über Sandanski – von hier stammte übrigens Spartakus, der in Rom den Sklavenaufstand organisierte – fahre ich mit dem Bus zum Rila-Kloster, Wallfahrtsort und prächtiges Wahrzeichen des orthodoxen Glaubens in Bulgarien. Das Kloster bietet einen besonderen Blick in die orthodoxe Glaubenswelt. Da Klöster meistens in einer wunderbaren Landschaft liegen, beginne ich den zweiten Versuch einer Bergwanderung über Kirilova Poljana, einer wunderschönen Alm, ins Rila-Gebirge. Auch hier sind die Schneeverhältnisse wie vor einigen Tagen im Pirin-Gebirge. Der Schnee taut und die Krokusse kommen in großer Zahl zum Vorschein. Es gelingt mir noch bis zur Hütte Ribni Ezera (2.250 Meter) am See Gorno Ribni zu gelangen. Ich bin aber mehr als froh hier zu übernachten. Anderntags bleibt jedoch nur der Rückweg.

Deutsche Zentrale für Globetrotter
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Unterwegs-Sein

Wolfgang (Jahrgang 1952, seit vielen Jahren dzg-Mitglied) stammt aus dem hessischen Herborn. Nach der Überbrückung von größeren Entfernungen mittels irgendwelcher Verkehrsmittel (in den 70er und 80er Jahren mehrjährige Reisen: Iran, Indien, USA, Mexiko, Südamerika, Alaska, China, Südostasien) bewegt er sich seit eigen Jahren am liebsten auf Schusters Rappen.

Seit Wolfgang im Ruhestand ist, begibt er sich wieder viel auf Wanderschaft. Hier nur einige seiner letzten Ziele: Albanien, Memelland, Tansania mit Besteigung des Kilimandscharo, Slowenien, Papua-Neuguinea, Armenien und Berg-Karabach, das slowakisch-polnisch-ukrainischen Karpatenvorland, Jakobsweg und immer wieder die Karpaten. Wolfgang empfiehlt für Infos über die Karpaten folgende Webseite: www.karpatenwilly.de

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